Seit Wochen herrscht nun schon ein völkerrechtswidriger Krieg, den der Aggressor Russland, unter der Führung seines Präsidenten Wladimir Putin, durch seinen Einmarsch in die Ukraine ausgelöst hat.
Die Vorgeschichte dieser Invasion reicht weit hinter den 24. Februar 2022 zurück. Doch erst die an Brutalität stetig zunehmende russische Kriegsführung – aus Grosny und Aleppo leider sattsam bekannt – seit der letzten Februarwoche hat zu der größten Fluchtbewegung seit dem Ende des zweiten Weltkrieges geführt. Über drei Millionen Menschen sind inzwischen aus Ihrer Heimat geflohen, die sogenannten Binnenflüchtlinge, die Schutz in den westlicher gelegenen Landesteilen der Ukraine suchen nicht mitgerechnet. Vor allem die Nachbarländer der Ukraine haben in einem Akt unglaublicher Solidarität hunderttausende Geflüchtete aufgenommen – allen voran Polen.
Der Angriff auf die Ukraine sei auch ein Angriff auf den Westen – zumal den europäischen – und seine Werte. Mit der Unterstützung der Ukraine, so wird argumentiert, leisteten wir somit auch einen Beitrag zur Verteidigung unserer Überzeugungen. Ich finde, dass dies unbedingt zutrifft. Deshalb schmerzte auch der Vorwurf des ukrainischen Präsidenten Selensky, es zeige sich, dass das „Nie wieder“ nur leere Worte seien, besonders.
Um unsere Werte ging und geht es aber nach wie vor ebenso bei den Verstößen Polens und Ungarns gegen das europäische Rechtsstaatsprinzip. Das in Kraftsetzen eines erst durch diese Verstöße nötig gewordener Rechtsstaatsmechanismus, der auch vom niedersächsischen Landtag gefordert worden war, sollte hier seine disziplinierende Wirkung entfalten. Inzwischen ist dieser Mechanismus in Kraft, eine juristische Beschwerde Polens dagegen wurde abgewiesen und Gelder aus dem Corona-Wiederaufbaufonds wurden gesperrt. An den Gegebenheiten in Polen hat sich allerdings bisher nichts geändert. Noch kurz vor Beginn des Ukraine-Krieges wurde eine Richterin, die europäisches Recht angewandt hatte, abgesetzt. Urteile sowohl des Luxemburger als auch des Straßburger Gerichtshofes werden nach wie vor ignoriert, die disziplinarische Gängelung des Verfassungsgerichts wird fortgesetzt, LSBTI sehen sich nach wie vor Anfeindungen ausgesetzt. Dennoch sollen die gesperrten Corona-Gelder wohl zeitnah freigegeben werden. Sicher auch, um Polen bei der Bewältigung der menschlichen Katastrophe an seiner Ostgrenze zu unterstützen.
Um nicht missverstanden zu werden: Es ist unerlässlich, dass wir in Europa solidarisch zusammenstehen und der Ukraine, aber auch uns untereinander Beistand leisten, wo immer dies nötig und möglich ist. Der Krieg erfordert hier naturgemäß neue und flexible Handlungsweisen, Stichwort „Zeitenwende“. Wir dürfen aber auch nicht die Augen vor Diskrepanzen verschließen, die gleichsam von innen heraus ebenso auf das gemeinsame Wertefundament der Europäischen Union zielen. Jedenfalls dann nicht, wenn wir glaubhaft, überzeugend uns stark nach außen sein wollen. Ein schwieriger Spagat, für den es ohne Frage keine einfache Lösung und nicht den idealen Zeitpunkt gibt. Wenn die aktuelle Situation jedoch eines ganz deutlich zeigt dann, dass wir als Europäer nur gemeinsam eine ernstzunehmende Stimme mit Gewicht in der Welt sein können, die dieses Gewicht auch für gemeinsame Interessen und Werte in die Waagschale werfen kann. Nur wenn wir stark im Innern sind, können wir auch stark nach außen sein. Und dies haben nicht nur die Menschen in der Ukraine wahrlich verdient.